Nachruf: Gunter Sachs – Millionenerbe, Fotograf und Lebemann - WELT (2025)

Ausgerechnet erschossen. Als wäre der Freitod an sich nicht schon brutal genug, kommt er auch noch mit diesem Getöse daher. Samstagabend hat Gunter Sachs sich erschossen . Ich versuche es mir vorzustellen, schon um die Nachricht zu begreifen, das Hirn ist in die Magengrube abgetaucht und wehrt sich, die Information aufzunehmen. Das Herz ruft, bitte lass mir noch ein Weilchen die Illusion, dass es nicht wahr ist.

Da sitzt also der Freund, ich nehme an, an seinem Schreibtisch in dem schönen Haus in Gstaad, von allen Wohnsitzen der Ort, an dem er sich am meisten Zuhause fühlte. Mittags hatte er sich noch mit einem ganz engen Freund verabredet, am Montag nach München zu kommen. Noch ein paar weitere Freunde angerufen, bevor er am Abend zur Pistole griff und abdrückte. Wie damals sein Vater.

Ich mag mir das Geräusch nicht vorstellen und erst recht nicht die Verzweiflung. Und dass ausgerechnet der Mann mit dem ausgeprägtem Sinn und Auge für Schönheit seinem Leben ein auch optisch zerstörerisches Ende setzt, scheint eine besonders böse Ironie des Schicksals. Auch wenn die Art, wie es heißt, wenn man mutig ist, als schnell und sicher gilt. Gut zu wissen und dennoch egal. Es ändert nichts am traurigen Ergebnis.

In jüngerer Zeit fühlte er sich immer wieder verlassen

Manchmal schien er ein wenig verwirrt in letzter Zeit, und schon im nächsten Moment fegte er mit seinem messerscharfen Verstand, seinem Wissen, seinem Humor mögliche Sorge hinweg. Er war bisweilen melancholisch, auch depressiv in jungen Jahren schon, aber verstand es, die Dämonen im Zaun zu halten. Im nächsten Jahr wäre er Achtzig geworden. In jüngerer Zeit fühlte er sich immer wieder verlassen, nicht von den Lebenden, die ihm so nahe waren wie Mirja seine zärtliche, starke, kluge Frau seit 42 Jahren.

Es war vielmehr die Einsamkeit des Überlebenden, die harte Prüfung des Alters, wenn fast alle wirklich engen Freunde und Wegbegleiter schon gestorben sind. „Nur wenige sind noch da“, sagte er betrübt, als wir vor einigen Monaten darüber sprachen. Er korrigierte sich sogleich. „Es muss heißen: zwei sind immerhin noch da. Das Wort 'nur' wird diesen Freundschaften ganz und gar nicht gerecht.“ Wollte er nicht der Letzte bleiben? Ich weiß es nicht.

Er war in jedem Fall der letzte seiner Art. Playboy, Fotograf, Kunstsammler, Astrologe, Unternehmer. Ein eleganter Charmeur, bar jeder Plumpheit. Ein rastloser Traum-Verwirklicher, der an Sternzeichen glaubte, nicht an Ruhestand und nicht an Religion. „Für Romantiker ist Glauben gut. Anhänger der Naturwissenschaften wie ich können wenig damit anfangen“, sagte er einmal mit der Stimme, die wie aus den Tiefen eines Berges hochbrummte.

Als Protestant wurde er getauft. „Aber wenn ich eine Religion bräuchte, wäre ich wohl ein Anhänger des Buddhismus, der ist unterstützend und verständlich. Aber tatsächlich ist meine Religion ’If’ von Rudyard Kipling.“ Es ist das Gedicht über die wahren Werte eines Mannes. Dabei kannte Kipling den Sachs gar nicht:

„Wenn du vertraust auf dich – wenn keiner auf dich zählt und du für die Zweifel noch Verständnis hast ...Wenn du auch träumst – mach die Träume nicht zum Meister... Und wenn du denkst, mach dir Gedanken nicht zum Ziel ... Wenn mit Triumph du umgehst – wie mit Unglück, und hältst von beiden Blendern nicht zuviel.“

Gunter wurde Jetset, als das noch Geistesreichtum erforderte

„Gunti“ war drei Jahre alt, als seine famose Mutter Eleonore von Opel, aus dem Autoclan, geschiedene Sachs aus dem Fichtel-&-Sachs-Konzern, mit ihren beiden Söhnen 1935 in die Schweiz floh. Ihr Ex-Mann Willy, seit 1932 in der Partei, hatte das Sorgerecht für die Jungs bekommen, was die junge Mutter zu einem wütenden, gar nicht Nazi-freundlichen Interview im „Rüsselsheimer Tageblatt“ und anschließender Flucht veranlasste. Lenzerheide wurde zur Heimat. Gunter zu Huckleberry Finn. Die Schule zur kneippschen Erfahrung. Mathematik sehr heiß. Latein sehr kalt.

In den Schulen am Genfer See lernten viele Kinder adeliger und wohlhabender Familien – und wuchsen zum internationalen Jetset heran. Als „jetten“ noch ein Privileg war und die Aufnahme in die Spaßgesellschaft Geistesreichtum voraussetzte. Das Umfeld und die patente Art der geliebten Mutter erstickten jede Angeberei im Keim. Als beeindruckend galt immer nur sportliches Vermögen. „Gunti“ fuhr Auto- und Ski- und Bobrennen, spielte Fußball und Tennis. Meistertiteltauglich. Dem erfolgreichen Mathestudium folgten Wirtschaftsstudium und Dolmetscher-Diplom. Alles abgeschlossen. Versteht sich.

Kunst, Mode, Filme – und allem voran stets die Liebe

Er arbeitete im väterlichen Unternehmen, war stellvertretender Aufsichtsrat der Sachs-Gruppe in Schweinfurt, 1976 verkauften er und sein älterer Bruder Ernst-Wilhelm den Konzern. Der Tausendsassa Sachs betrieb eine Gesellschaft für Wohnungsbau, gründete und leitete mit Konstantin von Bayern, das Modern Art Museum in München, eröffnete in Hamburg eine Galerie für moderne Kunst, stellte Warhol aus, erwarb ein Drittel der Bilder selbst, weil ihm die Ignoranz der Kunden peinlich war und legte damit den Grundstock zu einer der bedeutendsten europäischen Privatsammlungen moderner Kunst. Ließ visionär sein Appartement in St. Moritz von Freunden wie Tom Wesselman, Andy Warhol, Roy Lichtenstein und César dekorieren.

Seine Mode verkaufte sich in den 60ern in über 400 Läden weltweit, er drehte Dokumentarfilme, alle Prädikat wertvoll, er machte sich als Fotograf einen geehrten Namen, förderte großzügig naturwissenschaftliche Institutionen und Hilfswerke, und 1997 verfasste der Skorpion einen Bestseller über Astrologie („Die Akte Astrologie“).

Irisierende Augen, sensibler Mund, lässige Art, riskierende Sportlichkeit, gekonnt ungekünstelte Umgangsformen – es war bestimmt nicht leicht, dem jungen Sachs zu widerstehen. Warum aber auch? Die Liebe führte ihn Ende der Fünfziger nach Paris, wo er eine weitere Leidenschaft entdeckte – die Kunst. Und finanzierte sie mit Kartenspielen.

Ein Macho, der preußische Tugenden lebte

„Zeitgeistgeflüster“ lockte ihn in den Fünfzigern ins verschlafene Saint-Tropez, das zum Treff einer Generation wurde, die sich von bürgerlichen Zwängen befreite, dazu aber genauso gern an den Strand wie auf die Straße ging. Juliette Greco, Roger Vadim, Françoise Sagan waren Wegbegleiter des neuen Denkens wie die Freunde aus Paris: George Pompidou, Simone de Beauvoir, Coco Chanel, Saldavor Dalí, Guy de Rothschild, Jean-Paul Sartre. Und natürlich die „Ritter der verlorenen Zeit“, wie der nun auch letzte verlorenen Ritter die muntere Tafelrunde nannte, die das originäre, faszinierende Playboy-Sein definierten.

Er war der Deutsche, der so gar nicht deutsch daherkam und doch Tugenden wie Verlässlichkeit, Fleiß und Ehrlichkeit stets lebte, mittendrin: in offenem blauem Hemd, weißer Hose, barfuß. Er wird der Held der Klatschspalten, Troubadour der internationalen Gesellschaft, Garant für ultimative Feste. Selbst die schöne Soraya wurde einen Sommer lang ganz schwach. Die Bardot noch länger. Und er für diese wegen ihrer Schlagfertigkeit. Unter anderem.

Und dann kam Mirja Larsson, das nordisch schöne Model, Gefährtin für immer und Mutter seiner jüngeren Söhne Gunnar und Alexander. Die Mutter des Ältesten, Rolf Sachs, war sehr früh bei einer Operation gestorben. In seiner Biografie nannte Sachs das Kapitel über die Familie „Von Flügeln und Wurzeln“ und stellte ein Zitat von Pearl S. Buck voran: „Kinder, die man nicht liebt, werden Erwachsene, die nicht lieben.“

"Sterben ist nicht für mich"

Er trieb keinen Sport mehr, aber sein Kopf hat nie aufgehört zu trainieren. Er schlief sehr wenig. Dachte nachts. Oder schrieb. Er konnte sehr stur sein und ungnädig, weil er nicht mehr gut hörte. Vor allem aber war er großzügig. Als Gastgeber, als Freund, als Erzähler. Er hatte keine Angst vor dem Tod. „Ich lese gern Todesanzeigen im ’Spiegel’. Zuerst das Alter. Dann steht da: Im hohen Alter von 82 Jahren! Und ich denke: Oh Gott, ist ja gut, dass du noch lebst. Man hat ja als Kind das Gefühl: Sterben ist nicht für mich. So gesehen bin ich noch ein Kind.“

Wir sitzen am Flughafen in Düsseldorf, als die Nachricht von seinem Tod kommt. Gerade noch ließen wir wohlig verkatert das so gelungene Fest der Familie Eickhoff vom Abend zuvor Revue passieren.

Und plötzlich bekommt die Heiterkeit eine schallende Ohrfeige. Gunter Sachs hat sich erschossen. Der Flug nach Nizza wird aufgerufen, ich bin auf dem Weg an die Cote d'Azur. Ausgerechnet. Hier spielten die köstlichen Jahre, hier begann der Mythos, hier hat er ein herrliches Haus. Es fällt mir schwer, diese Zeilen zu schreiben. Am Neujahrstag habe ich ihn zum letzten Mal gesehen. Im "Stübchen“ im Sylter Sansibar, ein langer Tisch voller alter Freunde, wir saßen nebeneinander in der Ecke, er war wohl und amüsant und voller Ideen.

Wir wollten uns jetzt bald mal sehen, hatten wir gemailt. Wie man das immer so verabredet und auch ehrlich meint. Und dann vergehen doch wieder Wochen, Monate, weil das Leben so voraneilt. Und man eben nicht damit rechnet, dass es so abrupt angehalten wird. Doch wie hatte Gunter gesagt: "Der Gedanke an ein ewiges Leben ist mir unbehaglich.“ Dann also reise wohl.

Nachruf: Gunter Sachs – Millionenerbe, Fotograf und Lebemann - WELT (2025)
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Author: Greg Kuvalis

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